Eine Fußgängerbrücke in Kempten wurde mit dem Satz "Hängt die Grünen" beschmiert.
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Die Bedrohungen im Wahlkampf nehmen zu. In Kempten wurde eine Brücke mit dem Spruch "Hängt die Grünen" beschmiert.

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Nach Angriffen: Schwäbische Politiker sorgen sich um Sicherheit

Nach Dresden fürchten auch schwäbische Politiker um ihre Sicherheit. Wie konkret die Gefahr ist, zeigten in der Region der Angriff auf Andreas Jurca und der Steinewurf auf Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. Wie sind Stimmung und aktueller Stand?

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Viele Politiker befinden sich aktuell mitten im Wahlkampf für die anstehende Europawahl, so auch in Schwaben. In der Region kam es in den vergangenen Monaten zu zwei größeren Attacken gegen Politiker: Im August 2023 wurde der Augsburger AfD-Poliker Andreas Jurca bei einem tätlichen Angriff schwer verletzt, im September bei einer Wahlkampfveranstaltung der Grünen ein Stein in Richtung von Katharina Schulze und Ludwig Hartmann geworfen. Die beiden blieben unverletzt.

Wie wirken sich diese Erfahrungen und die aktuellen Berichte über den Angriff in Dresden auf die Politiker und den Wahlkampf in Schwaben aus? BR-Reporter haben bei mehreren Parteien und der Polizei nachgefragt.

Längst kein Einzelfall: Zerstochene Reifen und Beleidigung

"Wir nehmen immer mehr Beleidigungen und eine Verrohung der Sprache per E-Mail, an Infoständen sowie bei Veranstaltungen wahr", schreibt beispielsweise die schwäbische FDP. Beim Augsburger FDP-Bundestagsabgeordneten Maximilian Funke-Kaiser sei es zu strafrechtlich relevanten Vorfällen gekommen. "Von Unbekannten wurden mehrfach Reifen an Autos der Mitarbeiter des Wahlkreisbüros zerstochen. Die Autos tragen keine Aufschrift der FDP. Die Täter müssen daher gezielt beobachtet haben, wer das Auto abstellt und danach in das Wahlkreisbüro geht. Außerdem wurde an die Fassade des Wahlkreisbüros ein Hakenkreuz gesprüht", so Maximilian Deffner, schwäbischer FDP-Bezirksgeschäftsstellenleiter.

Alleine ist im Wahlkampf keiner mehr unterwegs

Auch bei der schwäbischen SPD ist man besorgt: "Es ist bereits jetzt üblich, dass man nicht allein unterwegs ist beim Plakatieren, am Infostand oder bei Tür-zu-Tür Besuchen, in der Regel sind es Teams bestehend aus mindestens einer Frau und einem Mann. Unterstützer und Unterstützerinnen werden nach diesen Angriffen in Dresden verstärkt darauf hingewiesen", so die Augsburger Bundestagsabgeordnete Ulrike Bahr (SPD). Vor etwa einem Jahr sei das örtliche Parteibüro beschädigt worden, häufiger komme es zu verbalen Angriffen, "sei es durch anonyme Mitteilungen im Briefkasten oder bei schriftlichen Bürgeranfragen", so Bahr weiter.

Nathan Lüders aus der Bezirksgeschäftsführung der Grünen sagt, dass sich bereits zur Landtags- und Bezirkswahl die allgemeine Stimmung deutlich verschärft habe, wie nicht zuletzt der Steine-Wurf in Neu-Ulm gezeigt habe. In den letzten Monaten gab es keine konkreten tätlichen Angriffe in unserem Bezirksgebiet, aber Wahlkampfhelfende werden immer häufiger bedrängt und verbal attackiert, Materialien immer häufiger verunstaltet oder zerstört", so Lüders weiter. In Amtzell im angrenzenden Landkreis Ravensburg in Baden-Württemberg sei im März ein Kommunalwahlkandidat auch direkt tätlich angegriffen worden. Viele Ehrenamtliche würden sich zunehmend Sorgen über die Sicherheitslage im Wahlkampf machen, "die meisten wollen sich aber bewusst nicht einschüchtern lassen". Aktuell gebe es bei Veranstaltungen erhöhte Sicherheitsmaßnahmen wie z.B. Taschenkontrollen, Einlassvorbehalte oder Teilnahme nur mit Anmeldung, so Lüders.

Polizisten nochmals sensibilisiert

Angriffe auf Wahlkampfteams oder Plakatekleber hat es im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West in diesem Jahr noch nicht gegeben, erklärt Sprecher Holger Stabik auf Nachfrage des BR. Es werde aktuell auch nicht vermehrt Streife gefahren, die Polizeibeamten in den Streifenwagen seien nach dem Angriff in Dresden aber noch einmal sensibilisiert worden, so Stabik.

Ob im aktuellen Europawahlkampf mehr Plakate beschädigt oder beschmiert werden, dazu gebe es noch keine verlässlichen Zahlen. Allerdings würden die Fälle politisch motivierter Kriminalität in Wahljahren regelmäßig ansteigen, was laut Stabik vor allem an den sich bietenden Gelegenheiten liegen dürfte.

Der Fall Jurca: Keine Spur zu den Tätern

Wie konkret die Gefahr für Politiker ist, zeigte nicht zuletzt der Angriff auf den Augsburger AfD-Politiker Andreas Jurca im vergangenen Sommer.

Den Angaben nach war Jurca in den Morgenstunden des 02. August 2023 auf dem Rückweg von einer Grillfeier im Stadtteil Oberhausen aus einer Gruppe heraus von zwei Männern angegriffen worden. Wie der Politiker damals erklärte, sollen diese zunächst nach seiner Kandidatur für den Landtag gefragt und danach zugeschlagen haben. Jurca erlitt schwere Prellungen, Hämatome im Gesicht und Verletzungen am Bein. Ein Überwachungsvideo führte die Ermittler Anfang Oktober 2023 zu zwei Tatverdächtigen im Alter von 19 und 21 Jahren. Trotz Durchsuchungen und Auslesens ihrer Handydaten konnte der Tatverdacht nicht erhärtet werden. Die Telefone der Männer waren zum Tatzeitpunkt nicht in den Funkzellen des Tatortes eingeloggt. Deshalb geht die Staatsanwaltschaft Augsburg mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die beiden auch selbst nicht am Tatort waren. Auch ein DNA-Abgleich war erfolglos geblieben.

Zwar konnten die Ermittler den beiden Männern eine Beteiligung nicht nachweisen, dennoch geht die Staatsanwaltschaft Augsburg davon aus, dass es einen Überfall auf den AfD-Politiker Andreas Jurca gegeben hat. Dem Sprecher zufolge gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass sich der Augsburger Landtagsabgeordnete die Verletzungen selbst beigebracht haben könnte. Neue Ermittlungsansätze gebe es jedoch nicht, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Augsburg gegenüber dem BR, die Ermittlungen wurden eingestellt.

Steinewurf auf Grünen-Spitzenduo: Prozess-Termin noch offen

Völlig offen ist auch noch, ob und wann es zu einem Gerichtsprozess wegen des Steinewurfs bei einer Wahlkampfveranstaltung von Katharina Schulze und Ludwig Hartmann kommen wird.

Am 17. September 2023 hatte ein Mann am Petrusplatz in Neu-Ulm einen Stein in Richtung Bühne geworfen, auf der sich zu diesem Zeitpunkt die beiden Grünen-Politiker befanden. Verletzt wurde niemand, der Mann wurde von der Polizei festgenommen. "Das hat mit Demokratie gar nichts zu tun", sagte Katharina Schulze damals direkt nach der Tat. Gewalt sei niemals ein adäquates Mittel der politischen Auseinandersetzung.

Mittlerweile sei gegen den mutmaßlichen Steinwerfer, den die Polizei der Reichsbürger- und Querdenkerszene zuordnet, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte Anklage erhoben worden, so Oberstaatsanwalt Sebastian Murer von der Generalstaatsanwaltschaft. Derzeit, so die Information vom Amtsgericht Neu-Ulm, habe das Gericht allerdings noch keine Entscheidung dazu getroffen, ob die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wird. In den kommenden Wochen will das Gericht zu einer Entscheidung kommen.

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