Archivbild: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht vor dem mittlerweile stillgelegten Atomkraftwerk Isar 2.
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Vor der Kulisse von Isar 2 wurde die Diskussion um die Atomkraft bei der Abschaltung noch einmal geführt. Manches hat sich seither erledigt.

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Ein Jahr Atomausstieg: Was aus Söders Befürchtungen wurde

Vor einem Jahr wurde mit Isar 2 das letzte bayerische Kernkraftwerk endgültig heruntergefahren. Die Diskussion um die Atomkraft wurde vor der Kulisse des Kühlturms noch einmal geführt. Manches hat sich seither erledigt. Ergänzt durch "Dein Argument".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die "Tagesthemen" sendeten an dem historischen Tag vor einem Jahr in einem Sonderformat – live vom Kernkraftwerksstandort Isar 2 bei Landshut. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezweifelte im Gespräch mit Moderator Ingo Zamperoni, dass der Atomausstieg wirklich endgültig sei: "Es ist nicht einfach, je länger es dauert, wieder einzusteigen. Aber möglich ist es. Nach der nächsten Bundestagswahl auf jeden Fall. Und ich glaube auch, dass wir schon im nächsten Winter ernsthafte Probleme bekommen. Sodass ein Wiederanlaufen im Winter denkbar wäre."

Stromversorgung läuft auch ohne Atomkraft

So kam es nicht. Die Stromversorgung lief auch ohne Atomkraft im vergangenen Winter störungsfrei. Eine Reihe von wissenschaftlichen Analysen bestätigen, dass Deutschland die Energiekrise auch ohne Atomkraftwerke weitgehend bewältigt hat. So zuletzt auch eine Studie der Beratungsgesellschaft Enervis [externer Link] im Auftrag von Greenpeace. Autor Christoph Benkert bilanziert im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk: "Der Wegfall der Erzeugungsmengen aus der Atomkraft hat unser Stromsystem vor keine signifikanten Probleme oder Herausforderungen gestellt."

Erneuerbare Energien haben den Atomstrom ersetzt

Im Unterschied zu früheren Auswertungen wählt die Greenpeace-Studie tagesscharf einen Betrachtungszeitraum seit dem Atomausstieg am 15. April 2023. Rein rechnerisch hat Deutschland die weggefallenen Strommengen aus der Atomkraft seither mit einer größeren Produktion von Strom aus erneuerbaren Quellen ausgleichen können. Trotz des Atomausstiegs sank der CO2-Ausstoß in Deutschlands Energiesektor seither um 24 Prozent. Fossile Kraftwerke liefen deutlich weniger: Braunkohle minus 29 Prozent, Steinkohle minus 47 Prozent und Gas minus fünf Prozent. Auch die Großhandelspreise für Strom sind wieder stark gesunken, in etwa auf das Vorkrisenniveau.

Preissenkung kommt bei Verbrauchern verzögert an

💬 Unter anderem die BR24-User "HG11", "dessogi" und "huber_sepp68" haben in den Kommentaren diskutiert, welche Konsequenzen der Atomausstieg auf den Strompreis hat. Das Team von "Dein Argument"  hat ergänzt:

Bei den Haushalten ist dieser Preisrückgang jedoch vielfach noch nicht angekommen. Die Stromversorger geben ihn an ihre Bestandskundschaft nur verzögert weiter. Laut Norbert Endres von der Verbraucherzentrale Bayern sind bei Neuverträgen inzwischen wieder Strompreise von 26 Cent pro Kilowattstunde im Angebot. Trotzdem gebe es noch Kunden, die mehr als 40 Cent bezahlen. "Hier empfehle ich dringend zumindest einen Tarifwechsel. Es muss nicht immer gleich ein Anbieterwechsel sein."

Eine Strompreisanalyse des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vom Februar [externer Link] zeigt, dass der Industriestrompreis bei Neuverträgen zum Jahresbeginn 2024 bereits wieder so günstig war wie zuletzt 2016. Grund ist vor allem der Wegfall der EEG-Umlage, die inzwischen aus dem Bundeshaushalt bezahlt wird. Bei besonders energieintensiven Unternehmen, die früher bereits vom Großteil der Abgaben befreit waren, kann die Rechnung jedoch anders aussehen. Und: Auch Wirtschaftsunternehmen können von sinkenden Preisen nur mit Verzögerung profitieren, falls sie noch in alten Verträgen stecken. 💬

Deutschland importiert Strom – vor allem erneuerbaren

Allerdings: Deutschlands Stromaußenhandelsbilanz hat sich verändert. Vor allem die sinkende Kohleverstromung hat gemeinsam mit dem Aus der Kernkraftwerke dazu geführt, dass Deutschland im Jahr nach dem Atomausstieg vom Stromexporteur zum -importeur geworden ist. Ungefähr fünf Prozent des deutschen Strombedarfs kam seit dem Ausstieg aus dem Ausland. Allerdings nicht, weil im Inland nicht genug Erzeugungskapazität existiert: Zu jedem Zeitpunkt des vergangenen Jahres gab es genug Gaskraftwerke, um die Stromnachfrage zu decken. Aber die fossilen Kraftwerke in Deutschland mussten häufig nicht hochfahren, weil Import-Strom zur Verfügung stand, der billiger und häufig auch umweltfreundlicher war.

Im Ergebnis hat Deutschland allerdings - wie Kritiker des Atomausstiegs betonen - eigene Kernkraftwerke abgeschaltet und trotzdem Kernkraftstrom aus Frankreich importiert. Allerdings waren das nur 25 Prozent der importierten Strommenge, 50 Prozent davon stammten aus erneuerbaren Energien – etwa Windstrom aus Dänemark.

Künftig braucht es Wasserstoff-Kraftwerke

Langfristig wird Deutschland nach Einschätzung der Greenpeace-Studie durch den Ausbau der erneuerbaren Energien wieder zum Nettoexporteur von Strom werden. Die Autoren betonen jedoch auch, dass Deutschland künftig mehr wasserstofffähige Gaskraftwerke braucht, um die schwankende Stromproduktion aus Wind und Sonne zeitweise auszugleichen.

Atomkraftwerke werden diese Rolle nicht ausfüllen können. Nicht nur, weil sie dazu technisch und wirtschaftlich schlechter geeignet sind als Gaskraftwerke. Sondern auch, weil die von Bayerns Ministerpräsident Söder angekündigte Reaktivierung von Reaktoren nicht möglich ist. Das hat für Isar 2 der Kraftwerkschef Carsten Müller im Oktober endgültig klargestellt: "Es geht technisch, organisatorisch, personell nicht mehr. Wir sind da am Ende. Und wir werden jetzt den Weg des Rückbaus gehen."

Bayern hat den Rückbau doch nicht verzögert

Ministerpräsident Söder hatte am Abschalt-Tag von Isar 2 vor einem Jahr angekündigt, die Behörden des Freistaats würden alle rechtlichen Spielräume nutzen, um den Rückbau der Atomkraftwerke hinauszuzögern. Doch Ende März 2024 hat das bayerische Umweltministerium den Rückbau dann doch genehmigt, ohne Verzögerung. Das Atomgesetz lasse da keinen Spielraum. Die Arbeiten laufen jetzt.

Hinfällig erscheint inzwischen auch Söders "Angebot", wie er es nannte, Isar 2 in bayerischer Eigenregie weiterzubetreiben. Die Zuständigkeit für die Atomkraftwerke solle vom Bund auf die Länder übergehen, forderte er mit großem Medienecho anlässlich der Abschaltung des Reaktors. Seither war davon jedoch so gut wie keine Rede mehr.

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