Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Pressekonferenz am Montag.
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Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Pressekonferenz am Montag.

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Hasskriminalität in Bayern sinkt leicht - Gewalt nimmt aber zu

Insgesamt hat es 2022 im Freistaat etwas weniger Fälle politisch motivierter Hasskriminalität gegeben. Laut Innenminister Herrmann stieg allerdings die Zahl von Gewaltverbrechen. Die Opposition fordert, Hürden für Anzeigen vollständig abzubauen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Sie sei "Rattenpack" und müsste "in der Isar ersäuft" werden. Diese und ähnliche Kommentare musste die Landtagsabgeordnete Gabi Schmidt (Freie Wähler) 2021 nach einer Plenardebatte zur Coronapolitik über sich im Internet lesen. Als der Nürnberger SPD-Stadtrat Nasser Ahmed Anfang das Jahres zum stellvertretenden Generalsekretär der bayerischen Sozialdemokraten ernannt wurde, ging bei der SPD-Geschäftsstelle in Nürnberg eine anonyme Postkarte ein. "Wieder so ein Dreckskanake", stand darauf.

Hass und Hetze, gleich ob analog oder im Netz, betreffen aber bei weitem nicht nur Politikerinnen und Politiker. Am Montag stellten Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Justizminister Georg Eisenreich (CSU) das Lagebild zu Hasskriminalität in Bayern 2022 vor. Dabei geht es um Menschen, die aufgrund gruppenbezogener Merkmale Opfer von Straftaten werden - zum Beispiel wegen ihrer Nationalität, Hautfarbe, Religion, wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung.

Herrmann besorgt: Noch nie so viele Gewaltdelikte wie 2022

Ausgehend von 2021 ging die Gesamtzahl der Taten von 1.225 auf 1.186 im vergangenen Jahr leicht zurück. In den Jahren zuvor waren die Fälle von Hasskriminalität allerdings um rund 70 Prozent gestiegen (2017 bis 2021). "Wir haben ein anhaltend hohes Niveau in der Hasskriminalität", sagte Herrmann zu BR24.

Die häufigste Straftat ist mit rund 44 Prozent weiterhin Volksverhetzung. Allerdings gab es davon im vergangenen Jahr weniger Fälle, was den Rückgang insgesamt erklärt. Andere Straftaten nahmen hingegen zu: 115 Delikte im Bereich der Gewaltverbrechen wie beispielsweise (schwere) Körperverletzung markieren für 2022 einen neuen Höchststand. Manche Menschen belassen es laut Herrmann nicht mehr nur bei der verbalen Äußerung von Hass, sondern würden auch handgreiflich. "Das ist das, was mich besorgt macht", so der Innenminister.

Antisemitismus nimmt prozentual ab, Queerfeindlichkeit zu

Mit über 1.000 Fällen ist ein Großteil der Straftaten laut Statistik weiterhin fremdenfeindlich oder rassistisch motiviert, auch wenn die Zahl aktuell leicht sinkt. Antisemitische Straftaten gingen nach einem Höchstwert im Jahr 2021 (510 Fälle) um rund 30 Prozent auf 358 Fälle zurück. Das sei kein Grund zur Entwarnung, so Herrmann: "Die Anzahl ist trotzdem insgesamt erschreckend hoch." Zugenommen haben queerfeindliche Straftaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transpersonen. Davon gab es 2022 insgesamt 96 Fälle, acht mehr als im Jahr zuvor. Eine Tat kann sich gegen mehrere Gruppen richten, also gleichzeitig fremdenfeindlich und antisemitisch sein.

Die offiziellen Statistiken dürften bei weitem kein vollständiges Bild zeichnen. "Wir müssen im Bereich der Hasskriminalität von einer hohen Dunkelziffer ausgeben", sagte Herrmann bei der Pressekonferenz im Innenministerium. Gleichzeitig sei die Aufklärungsquote von knapp zwei Dritteln aller Fälle vergleichsweise hoch. Deswegen sei es wichtig, dass Opfer die ihnen widerfahrenen Taten auch zur Anzeige bringen.

Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid
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Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von HateAid

Justizminister Eisenreich fordert zu Zivilcourage auf

Das betonte auch Justizminister Georg Eisenreich und verwies auf die Online-Meldestelle "Respect", über die Plattform könnten Anzeigen niederschwellig aufgegeben werden. Gleichzeitig betonte Eisenreich, dass der Kampf gegen Hasskriminalität eine Gemeinschaftsaufgabe von Polizei, Justiz und Zivilbevölkerung sei: "Ich bitte jeden Bürger und jede Bürgerin, sich zu beteiligen", sagte Eisenreich. "Wenn am Stammtisch, am Gartenzaun, unter Kollegen geredet wird und einer fängt an, Hass zu verbreiten und zu hetzen: Mit das Wirkungsvollste ist, wenn in dieser Gruppe nicht zugestimmt wird, sondern wenn es Widerspruch gibt." Das bremse einen Teil ganz enorm aus, so der Justizminister. Zudem erhöhe die Staatsregierung mit eigenen Beauftragten bei Staatsanwaltschaften und Polizei seit Jahren den Fahndungsdruck.

Täter sind mehrheitlich Männer, deutsch und rechts motiviert

Bei den Tätern handelt es sich laut Statistik zu rund 80 Prozent um Männer, knapp 90 Prozent aller Tatverdächtigen sind deutsche Staatsangehörige. Auch bei der Motivlage von politisch motivierter Kriminalität gibt es eine klare Tendenz. Bei mehr als 80 Prozent aller Straftaten ist laut offizieller Zahlen eine rechte Motivation ausschlaggebend. Der Wert ist im Vergleich zu 2019 (90 Prozent) gesunken. Links motivierte Delikte machen gut zwei Prozent aller Fälle aus, religiös motivierte etwas mehr als ein Prozent. Gut 14 Prozent der Straftaten seien keiner Richtung zuzuordnen.

Grüne: Hürden für Anzeigen abbauen

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Schulze, teilte mit, es spiele keine Rolle, ob man einen Menschen auf der Straße beleidigt oder dafür eine Social-Media-Plattform nutzt: "Es handelt sich um eine Straftat und niemand, der so etwas tut, darf ungestraft davonkommen." Die Staatsregierung müsse die Hürden, so etwas zur Anzeige zu bringen, vollständig abbauen. Bei der bayerischen Polizei brauche es eine virtuelle Polizeiwache, an die man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit wenden könne.

Bußgelder mit bis zu 2.000 Euro Tagessatz wegen Hasskommentaren

FW-Politikerin Gabi Schmidt brachte die Hasskommentare gegen sie zur Anzeige. Die meisten Urheber ("alles Männer", wie Schmidt sagt) konnte die Polizei ermitteln, sie bekamen Bußgelder mit Tagessätzen von bis zu 2.000 Euro. "Ich rufe auf, alle anzuzeigen", so Schmidt. Die Hasskommentare standen unter einem Facebook-Post der AfD-Fraktion des bayerischen Landtags. Schmidt macht die Partei mitverantwortlich: Die AfD habe in ihrem Post eine Rede von Schmidt zusammengeschnitten, aus dem Kontext gerissen und so die Stimmung angeheizt, außerdem seien die Kommentare nicht gelöscht worden.

Die AfD selbst berichtet, dass auch Angriffe und Beleidigungen gegen ihre Abgeordneten zum Alltag geworden seien. So seien beispielsweise die Büros mehrerer Abgeordneter mit Farb-Attacken beschädigt und in mehreren Fällen Infostände der Fraktion angegriffen worden.

"Es beginnt mit Anfeindungen und man weiß nicht, wo das endet"

Auch Nasser Ahmed von der Nürnberger SPD erstattete wegen der Postkarte Anzeige. Die Polizei sah den Tatbestand der Beleidigung erfüllt. "Der Täter konnte bis heute nicht ermittelt werden", sagte Ahmed zu BR24. Bei einem anonymen Einwurf sei das schwierig. "Es beginnt bei einer Postkarte mit persönlichen Anfeindungen und man weiß nicht, wo das endet", so Ahmed.

Die Pressekonferenz im BR24live-Video:

Joachim Herrmann und Georg Eisenreich stellen auf einer Pressekonferenz ein Lagebild zur Hasskriminalität 2022 vor.
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Joachim Herrmann und Georg Eisenreich stellen auf einer Pressekonferenz ein Lagebild zur Hasskriminalität 2022 vor.

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