Rolf Grassler und Cordula Haberberger unterhalten sich per Videochat mit ihrem Vater, den sie nach 50 Jahren gefunden haben.
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Rolf Grassler und Cordula Haberberger unterhalten sich per Videochat mit ihrem Vater, den sie nach 50 Jahren gefunden haben.

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Wie ein Oberpfälzer nach 50 Jahren seinen Vater in den USA fand

Die Suche nach den eigenen familiären Wurzeln kann zu einer schmerzhaften Erfahrung werden. Für Rolf Grassler aus Kastl ging sie auf die bestmögliche Art aus: Er fand nicht nur seinen Vater in den USA, sondern auch seine Schwester in der Oberpfalz.

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Seit seiner Jugend begleiteten Rolf Grassler aus Kastl im Landkreis Tirschenreuth Zweifel. Zweifel daran, ob sein gesetzlicher Vater tatsächlich auch sein biologischer Vater ist. Die äußerlichen Merkmale der beiden ließen sich kaum miteinander in Einklang bringen – jener Mann teilte die Zweifel auch selbst und habe ihn das durchaus spüren lassen, sagt Rolf Grassler. Das habe ihn sein Leben lang verfolgt – bis er irgendwann für sich selbst mit der Frage abgeschlossen hatte.

Keine Anhaltspunkte für eine Suche – bis ein Online-Portal auftaucht

Heute ist Rolf Grassler Mitte 50. Seine Frau Rita hatte ihn über die Jahre immer wieder ermuntert, sich Gewissheit in dieser großen Frage zu verschaffen – das scheiterte aber vor allem daran, dass die Grasslers keine Ansatzpunkte hatten: Sie kannten weder den Namen des mutmaßlichen wahren Vaters noch wussten sie etwas über dessen Herkunft. Seine Mutter konnte oder wollte ebenfalls keine Informationen geben.

Bis Freunde Rolf Grassler 2020 auf ein Online-Portal für Ahnenforschung stoßen, auf dem man mit Hilfe eines DNA-Tests mehr über die eigene Abstammung herausfinden kann. Das eigene Genmaterial wird dabei aufgeschlüsselt und seine Bestandteile einer geografischen Herkunft zugeordnet. Außerdem zeigt das Portal einem andere Menschen an, die sich ebenfalls dort registriert haben und deren Erbgut Übereinstimmungen mit dem eigenen aufweist.

DNA-Test ergibt erst keine Treffer – bis das Glück zur Hilfe kommt

So war es auch bei Rolf Grassler: Sein Ergebnis ordnet nur 37 Prozent seines Erbgutes einer deutschen Herkunft zu und bestätigt damit den kaum noch bezweifelten Verdacht, dass sein gesetzlicher Vater nicht sein biologischer Vater sein kann. Die Liste der registrierten Personen, deren Erbgut Gemeinsamkeiten mit dem Rolf Grasslers aufweist, zählt eintausend Personen. Allerdings liegt die Übereinstimmung bei ihnen allen unter drei Prozent, ein direkter Verwandter ist damit keiner davon – auch dieser Weg schien deshalb zunächst eine Sackgasse zu sein.

Bis wenig später Glück oder Schicksal Rolf Grassler zu Hilfe kommen: In Person eines jungen Amerikaners, der mit Hilfe des DNA-Tests auf dem Online-Portal mehr über seine schottischen Wurzeln herausfinden will. Seine Freundin entschließt sich, dabei ebenfalls mitzumachen – und taucht als neuer Eintrag auf einmal ganz oben auf Rolf Grasslers Liste auf. Mit nicht ganz zehn Prozent Übereinstimmungsgrad des Erbgutes ist die junge Frau mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit direkt mit ihm verwandt: Wie sich später herausstellen wird, ist sie die Großnichte seines Vaters.

Rolf Grassler findet mit Mitte 50 doch noch seinen Vater

Die junge Frau antwortet auf den Kontaktversuch aus Deutschland. Weitere Recherchen ergeben, dass tatsächlich ein Angehöriger ihrer Familie in den 60er-Jahren als US-Soldat in Rolf Grasslers Heimatort Grafenwöhr stationiert war: der heute 80-jährige Wayne Kephart.

Nach kurzem Zögern ist Kephart bereit, Kontakt mit den Grasslers aufzunehmen. Seine Frau Joyce habe ihn bei diesem Video-Call im Bildschirm gesehen und sofort zu Wayne Kephart gesagt: "Der sieht genauso aus wie du, als du jung warst", erinnert sich Rolf Grassler. Der US-Amerikaner macht ebenfalls einen DNA-Test – und der bestätigt unumstößlich, was zu diesem Zeitpunkt schon alle ahnen: Rolf Grassler hat mit Mitte 50 seinen Vater gefunden, es ist Wayne Kephart.

Grasslers Schulfreundin kennt ihren Vater ebenfalls nicht

Das ist allerdings noch nicht das Ende von Rolf Grasslers Suche nach seiner Familie. Er will anderen Menschen in ähnlichen Situationen Mut machen und entschließt sich deshalb, seine Geschichte in die örtliche Tageszeitung "Der Neue Tag" zu bringen. Die hält am nächsten Morgen Cordula Haberberger aus Weiden in der Hand, eine ehemalige Klassenkameradin und Jugendfreundin Rolf Grasslers. Sie stammt ebenfalls aus Grafenwöhr und wusste, dass ihr Vater ein auf dem dortigen Stützpunkt stationierter US-Soldat war – kannte sogar seinen Namen. Mehr über den Mann herauszufinden, hatte sie allerdings nie versucht.

Aus Schulfreunden werden Geschwister

Als Cordula Haberberger nun an jenem Morgen den Zeitungsartikel liest, fällt sie fast vom Stuhl, wie sie lachend erzählt: "Ich hab von meiner Mutter gewusst, wie mein Vater heißt: Wayne H. Kephart. Dann les ich die Überschrift 'Rolf Grassler findet seinen Vater'. Und unter dem Bild steht tatsächlich: Wayne Kephart." Haberberger erinnert sich daran, dass ihre Oma ihr in ihrer Jugend eingeschärft hatte: "Fang fei nix mit dem Rolf an, der Rolf könnt' dein Bruder sein!"

Dazu war es glücklicherweise auch nie gekommen, denn rund 45 Jahre später stand nun fest, dass die Oma recht hatte: Ein weiterer DNA-Test macht zur Tatsache, dass Rolf Grassler und Cordula Haberberger Halbgeschwister sind. "Wir verstehen uns gut und haben uns auch schon immer gut verstanden – vielleicht war das schon so ein bisschen das Geschwisterliche", sagt Cordula Haberberger. Um dann für großes Gelächter bei den Grasslers zu sorgen, indem sie hinzufügt: "Hätt' ja auch irgendein Depp sein können, der sich als mein Bruder herausstellt."

Eine neue, größere Familie: Happy End nach über 50 Jahren

Ein richtiges Gespräch mit Wayne Kephart per Video-Anruf lässt die Verbindungsqualität am Tag unseres Interviews leider nicht zu. Aber obwohl akustisch wenig zu verstehen ist, wird auf beiden Seiten viel gelacht.

Rolf und Rita Grassler sowie Cordula Haberberger ist bewusst, dass eine solche Suche nach den eigenen Wurzeln auch alte Wunden aufreißen und ganz anders ausgehen kann. Das ist an ihrem Fall das Besondere, sagen sie: Alle sind dem Ganzen mit großer Offenheit und Toleranz begegnet. Keinem der Beteiligten sei es darum gegangen, ob möglicherweise jemand vor über 50 Jahren einen Fehler gemacht habe. Es bleibe nur die Freude darüber, dass die eigene Familie schlagartig und unerwartet ein ganzes Stück größer geworden ist.

Dieser Artikel ist erstmals am 15.04.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert.

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