Der Iran hat in der Nacht seine Drohung wahrgemacht und Israel mit hunderten Drohnen und Raketen angegriffen. Fast alle wurden aber vom israelischen Verteidigungssystem abgefangen.
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Der Iran hat in der Nacht seine Drohung wahrgemacht und Israel mit hunderten Drohnen und Raketen angegriffen.

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Nach dem iranischen Luftangriff: Wie wird Israel reagieren?

Niemals zuvor hat Teheran Israel direkt attackiert. Es dürfte ausgeschlossen sein, dass Israel nicht auf die iranischen Luftangriffe reagieren wird. Netanjahu und die Militärführung sehen die Abschreckungsfähigkeit gegenüber dem Iran beschädigt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die israelischen Streitkräfte seien darauf vorbereitet, auf die iranische Antwort auf die Bombardierung der iranischen Botschaft in Damaskus zu reagieren. "Das ist noch nicht vorbei", schrieb Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant auf dem Kurznachrichtendienst X. Über Nacht habe die Welt das wahre Gesicht des Irans gesehen – "einen terroristischen Staat, der Israel mit Hunderten von Raketen und Drohnen angegriffen hat".

In der Nacht hatte Israels Sicherheitskabinett das sogenannte Kriegskabinett beauftragt, wie Israels Reaktion auf die nächtlichen Luftangriffe ausfallen soll. Dem Kriegskabinett gehören Premierminister Benjamin Netanjahu, Verteidigungsminister Yoav Gallant sowie die beiden ehemaligen Armee-Chefs und derzeitigen Minister Benny Gantz und Gadi Eisenkot an. Bereits zuvor hat nach Angaben des öffentlich-rechtlichen Radiosenders KAN ein Regierungsbeamter angekündigt, dass "die Reaktion stark und äußerst heftig" sein werde.

Nahezu alle iranischen Drohnen und Raketen abgeschossen

Am Morgen danach gab Armee-Sprecher Daniel Hagari bekannt, dass 99 Prozent der rund 300 iranischen Drohnen und Mittelstreckenraketen von der Luftabwehr Israels sowie der Verbündeten wie den USA abgeschlossen worden seien. "Nur wenige Raketen" seien auf israelischem Territorium gelandet. Die israelischen Streitkräfte hätten über Nacht in außergewöhnlicher Weise operiert, so Verteidigungsminister Gallant auf X, und seien auch weiterhin auf jedes Szenario vorbereitet. "Die Kampagne ist noch nicht vorbei, und wir sind wachsam und stark."

Ein siebenjähriges Mädchen aus einem Beduinendorf nahe Rahat in der Negevwüste sei von herabstürzenden Schrapnels der Luftabwehr verletzt worden und befinde sich im Krankenhaus. Sonst seien keine Menschen zu Schaden gekommen, sagte Armee-Sprecher Hagari. Zugleich gab das israelische Heimatschutzkommando die Anweisungen für die Bevölkerung auf, sich in der Nähe von Luftschutzräumen aufzuhalten.

Biden warnt Netanjahu vor Offensiv-Reaktion

US-Präsident Joe Biden habe im Verlauf eines Telefonats in der Nacht Premierminister Benjamin Netanjahu mitgeteilt, dass die USA einen offensiv ausgelegten israelischen Gegenangriff auf den Iran nicht unterstützen würden. Wie CNN und der US-Nachrichtenportal "Axios" übereinstimmend unter Berufung auf hochrangige US-Regierungsquellen melden, habe Biden deutlich gemacht: Der iranische Angriff sei gescheitert. Die USA, Israel und andere Staaten in der Region hätten dies durch gemeinsame Verteidigungsanstrengungen ermöglicht. Dann habe der US-Präsident gegenüber Netanjahu gesagt: "Sie haben gewonnen. Nehmen Sie den Sieg." Israels Premierminister habe dem US-Präsidenten versichert, "dass er verstanden" habe.

Seit dem mutmaßlich israelischen Raketenangriff auf die iranische Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus vor 14 Tagen führten die amerikanische und israelischen Regierung und deren Militär intensive Beratungen über die verschärfte Sicherheitslage. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin habe seinem israelischen Amtskollegen Gallant heftige Vorwürfe gemacht, vor dem Raketenangriff zur Tötung führender Mitglieder der iranischen Revolutionsgardisten Washington nichts davon mitgeteilt zu haben. Dies meldete unter anderem die "New York Times".

USA über Botschafts-Angriff verärgert

Durch die Bombardierung, die am 1. April von zwei israelischen F35-Kampfflugzeugen durchgeführt worden sei, entwickelte sich sehr rasch ein Szenario, dass US-Präsident Biden um nahezu jeden Preis vermeiden wollte: Dass Israels Krieg gegen die Hamas eskalieren und sich zu einem großen Krieg in der gesamten Region entwickeln könnte.

Wie bereits im Vorfeld des russischen Angriffs auf die Ukraine gaben die US-Geheimdienste in den Tagen vor dem iranischen Angriff auf Israel sehr präzise Bedrohungseinschätzungen öffentlich bekannt. So etwa am vergangenen Donnerstagabend, als die Dienste über das US-Nachrichtenprotal "Axios" – dessen Korrespondent Barak Ravid über sehr gute Quellen verfügt – meldete: Die USA rechneten mit einem "unmittelbar bevorstehenden Angriff" des Iran. Auch die Waffenarten benannten die US-Geheimdienste vorab, die der Iran einsetzen würde: Drohnen und Mittelstreckenraketen.

Im Video: BR-Korrespondent Christian Limpert zur Lage in Israel

BR-Korrespondent Christian Limpert zur Lage in Israel.
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BR-Korrespondent Christian Limpert zur Lage in Israel.

Israel sieht Abschreckungsfähigkeit verringert

Für jede israelische Regierung wäre es nahezu unvorstellbar, wenn sie nicht auf diesen erstmalig direkten Angriff des Iran auf Israel reagieren würde. In dem jahrzehntelangen "Schattenkrieg" zwischen dem Mullah-Regime und Israel setzte der Iran auf die Aufrüstung pro-iranischer Milizen: Von der libanesischen Hisbollah, über die jemenitischen Houthis, irakische Milizen und den Islamischen Djhad sowie die Hamas im Gaza-Streifen. Stets hatte es das Regime vermieden, direkt israelische Ziele zu treffen, sondern dies den sogenannten Verbündeten des Iran in der Region überlassen.

Israel wiederum verfügt seit mehr als 15 Jahren über detaillierte Militärpläne zur Zerstörung der iranischen Nukleareinrichtungen. Die US-Regierungen unter George W. Bush und Barack Obama hatten stets davon abgeraten, unter Hinweis auf die Verhandlungen in Wien, das iranische Nuklearprogramm einzufrieren, im Gegenzug zur Abhebung von Sanktionen gegen Teheran. US-Präsident Donald Trump stieg 2018 einseitig aus dem Atomabkommen mit dem Iran aus, das drei Jahre zuvor von den fünf Sicherheitsmitgliedern und Deutschland unterzeichnet worden war. Der Iran stieg daraufhin ebenfalls aus dem Abkommen aus und begann, waffenfähiges Plutonium in einem stets höheren Anreicherungsgrad zu produzieren.

Gallant: "Das ist noch nicht vorbei"

Für den jetzigen US-Präsidenten Biden, der die gesamten Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten mit besonderem Augenmerk verfolgt hat, geht es darum, genau dies zu verhindern: einen möglichen Angriff Israels auf die iranischen Nukleareinrichtungen. Dies würde eine sehr viel stärkere Reaktion Teherans hervorrufen, befürchtet das Weiße Haus.

Premierminister Netanjahu und sein Kriegskabinett dürften derzeit abwägen, wie sie auf die beispiellose Angriffsnacht reagieren werden. Es geht aus ihrer Sicht vor allem um die Wiederherstellung der Abschreckungsfähigkeit Israels in der Region, und vor allem gegenüber dem Iran. Das meint Verteidigungsminister Gallant mit seiner Aussage: "Das ist noch nicht vorbei."

Im Video: Interview mit Militärexperte Carlo Masala

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Prof. Carlo Masala

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