Die Sängerin mit schwarzem Hut wird von Begleiter gestützt
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Alla Pugatschowa (links) bei der Beerdigung von Modeschöpfer Judaschkin

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"So eine Schande": Kreml-Sprecher küsst Hand von Regime-Gegnerin

Bei der Beerdigung eines russischen Mode-Designers begrüßte Putins Pressemann Dmitri Peskow die eigens angereiste Sängerin Alla Pugatschowa, die aus Protest gegen den Krieg in Israel lebt. Die Höflichkeits-Geste empörte die Nationalisten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Wie kann man die Hand einer Vaterlandsverräterin küssen. So eine Schande! Ich bin enttäuscht von der Trauerfeier", regte sich ein russischer Netzkommentator über Putins Pressesprecher Dmitri Peskow auf, und damit stand er bei weitem nicht allein da. Quer durch das nationalistische Lager sorgte Peskow für Aufregung, weil er bei der Bestattung von Modeschöpfer und Uniform-Designer Valentin Judschakin der extra angereisten Sängerin Alla Pugatschowa (74) nicht nur die Hand geküsst und sie für ein paar Momente gehalten, sondern auch noch angefügt hatte: "Ich freue mich, Sie hier zu sehen." Das elektrisierte auch die Mainstream-Presse, die das Thema durchweg für schlagzeilenträchtig hielt.

"Von Fragen bis Protest ist ein kurzer Weg"

Die Ultra-Patrioten empfanden Peskows Verhalten als gezielten Verrat, gilt die weit über Russland hinaus bekannte Künstlerin doch als Regimegegnerin, seit sie sich im vergangenen September mit ihrem als "ausländischem Agenten" eingestuften Mann Maxim Galkin solidarisch zeigte. Die ironische Bitte, sie selbst auch mit der als Strafe verstandenen Bezeichnung zu "schmücken", erfüllte ihr das russische Justizministerium allerdings nicht. Pugatschowa, die Russland 1997 beim Eurovision Song Contest vertrat und gemeinsam mit Udo Lindenberg auftrat, lebt im Exil in Israel. Sie gilt als eine der prominentesten Sängerinnen ihres Landes und war schon zu Sowjetzeiten eine der ganz wenigen Interpretinnen, die international auftrat.

Die russischen Nationalisten stufen Peskows Geste als "wehrkraftzersetzend" sein. Der kremlnahe Politologe Markow schrieb: "Natürlich stärkt Dmitri Peskows öffentliches, wenn auch sehr privates Treffen mit Alla Pugatschowa, die von der Mehrheit der russischen Gesellschaft als Verräterin wahrgenommen wird, keineswegs die Unterstützung der russischen Gesellschaft für die Behörden. Die russischen Behörden müssen jetzt sensibler auf die Stimmungen der Menschen eingehen. Und diese Gefühle werden immer verwirrter. Und es gibt immer mehr ratlose Fragen an die Regierung. Und von verdutzten Fragen bis zum Protest ist ein kurzer Weg."

"Lebt Putin überhaupt?"

Der Extremist Igor Strelkow bezichtigte Peskow, moralisch "bodenlos" zu sein. Andere "Patrioten" fragten sich: "Was ist los? Wer ist im Kreml? Lebt Putin überhaupt?" Der Kreml-Sprecher habe wohl seine "Nerven verloren" und sei einem "Impuls erlegen", vermuteten Blogger. Die Begrüßung sei "unanständig" gewesen, er müsse dringend abgelöst werden. Er sei ein "Heuchler", dem die "Tränen des Volkes" egal seien. Ober- und Mittelschicht Russlands lebten offenbar in "Paralleluniversen". Handküsse seien politisch "unhygienisch", war zu lesen, Peskow müsse sich dringend "desinfizieren". Er habe all denen "ins Gesicht gespuckt", die an der Front kämpften.

Die kremlnahe Schauspielerin Maria Tschuktschina ging frontal auf Peskow los: "Auch wenn der Pressesprecher des Präsidenten denkt, dass wir bereits unsere Kultur verloren haben, glaube ich das nicht. Millionen meiner Landsleute auch nicht!" Sie zeterte, Pugatschowa sei eine "Verräterin" und verglich Peskows Handkuss mit einem aus ihrer Sicht beschämenden historischen Vorfall: 1905 hatten Russen dem Kaiser von Japan telegraphisch gute Gesundheit gewünscht, obwohl dessen Truppen kurz zuvor Russland in der Seeschlacht von Tsushima besiegt hatten. In Russland "ändere sich eben nichts".

"Der einzige mit Würde"

"Stalin fehlt so sehr", jammerte ein offenbar extremistisch gelaunter Leser. Das alles sei ein "Albtraum", meinte ein weiterer tief gekränkter Patriot. Andere wollten "Elemente der Diplomatie" oder auch "Doppelzüngigkeit" erkannt haben. Peskow wurde als "Vogelscheuche" beschimpft, Pugatschowa wurde vorgeworfen, dass sie ihre Landsleute als "Leibeigene" und "Sklaven" bezeichnet hatte. Besonders emsige Propagandisten versuchten eine Art "Vollbremsung" und verbreiteten das Gerücht, Peskow habe gar nicht die Hand von Pugatschowa geküsst, sondern die der Mutter des Verstorbenen, obwohl TV-Aufnahmen dagegen sprachen.

Es gab jedoch auch Stimmen, die Peskow für seine Geste lobten: "Er ist nicht der Held meiner politischen Haltung, aber er bleibt der einzige, der vor dem Hintergrund von vor Wut schäumenden Kerlen seine Würde behält." Peskow steht bei den Nationalisten unter dem Verdacht, der "Friedenspartei" im Kreml anzugehören. Das rechtsnationale Portal "Tsargrad" fragte sich und seine Leser bang: "Bedeutet das, dass Pugatschowa offiziell 'vergeben' wurde und nun ein neues Kapitel ihrer Beziehung zu ihrem Heimatland beginnt?"

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