Ein Lkw nachts auf einem Rastplatz
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Ein Lkw nachts auf einem Rastplatz (Symbolbild)

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Verletzter Fernfahrer: "Kriminelle Praxis" in der Logistik?

Pfefferspray, Todesdrohungen und Lohndumping: Es geht um eine tätliche Auseinandersetzung auf einem schwäbischen Rastplatz – laut Gewerkschaft in der Branche kein Einzelfall. Der Speditionschef bestreitet alles. Was die Gewerkschaft fordert.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Mit geröteten Augen spricht der 31-jährige Fahrer in seine Handy-Kamera. Mehrmals habe ihn sein Chef in seinem Lkw mit Pfefferspray angegriffen, sagt der Mann aus Usbekistan, als dieser am frühen Samstagmorgen überraschend und in Begleitung auf dem Rastplatz aufgetaucht war. Auch Todesdrohungen habe sein Chef gegen ihn geäußert. Zuvor hatte der Fahrer wegen offenbar ausstehender Löhne eine Weiterfahrt verweigert.

Unternehmen weist Vorwürfe zurück, Polizei hält Schilderung für glaubhaft

Edwin Atema von der europaweit tätigen Stiftung "Road Transport Due Diligence" (RTDD) bezeichnet die Vorgänge als "kriminelle Praxis der Firma", denn die Fahrer würden strategisch ausgenutzt und nicht selten bedroht – das sei in der Branche durchaus üblich. Schon im vergangenen Jahr hatte es auf der A5 einen ähnlichen Vorfall mit dem polnischen Spediteur gegeben.

Nach der tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem usbekischen Lkw-Fahrer und seinem polnischen Speditionschef auf einem Rastplatz im Landkreis Günzburg (Burgauer See) bestreitet das Transportunternehmen nun auf BR-Anfrage sämtliche Vorwürfe – im Namen des Geschäftsführers. Der Fahrer habe den Speditionschef mit einem Messer angegriffen – und nicht andersherum. Zudem hätten der Fahrer und Edwin Atema eine "absurde" Summe von 10.000 Euro gefordert, im Gegenzug für die Fahrzeugschlüssel.

Zum Vorwurf der zurückgehaltenen Löhne ließ das Unternehmen mitteilen, dass alle Gehälter rechtzeitig und gemäß den Vertragsbedingungen ausgezahlt worden seien. Die zuständige Polizei in Günzburg hält demgegenüber die Schilderungen des Fahrers nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen für glaubwürdig.

So werden zurückgehaltene Löhne begründet

Als Begründung für zurückgehaltene Löhne werde laut Edwin Atema oft angeführt, dass die Fahrer geblitzt worden seien oder die Unternehmen andere Bußgelder für sie bezahlen müssen – und sich dadurch der Lohn verringere. Belege für die vermeintlichen Vergehen würden den Fahrern aber keine gezeigt, kritisiert Atema.

Laut Lieferkettengesetz sind deutsche Unternehmen inzwischen dazu verpflichtet, die Einhaltung der Menschenrechte auf dem Weg ihrer Produkte zu überprüfen – das gilt auch für deren Transport. Die Fahrer des polnischen Spediteurs sind laut Gewerkschaft für verschiedenste deutsche Unternehmen unterwegs: Eines davon ist die Discounterkette "Aldi Süd".

Erste Auftraggeber reagieren

Von dort hieß es am Montag auf BR-Anfrage, dass die Vergabe von Transportaufträgen entsprechend überprüft werde. Laut eigenen Angabe habe die Unternehmensgruppe zu keinem Zeitpunkt "direkte Vertragsbeziehungen" zu zwei der Unternehmen, LUK MAZ und AGMAZ, des umstrittenen Spediteurs gehabt. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, würden sämtliche Transportaufträge verboten, die an Firmen der Mazur-Gruppe gingen, so Aldi Süd. Man sei tief betroffen und prüfe rechtliche Schritte.

Für viele schwäbische Logistikunternehmer seien solche Vorfälle indes keine große Überraschung. Das sagt Peter Stöferle von der Industrie- und Handelskammer Schwaben (IHK) in Augsburg, die darin eher eine Bestätigung dessen sehen, was die Logistiker täglich auf der Straße erleben würden.

Es gebe etliche osteuropäische Unternehmen am Markt, die nicht nach den üblichen rechtlichen Maßstäben und sozialen Standards arbeiten würden. Für die überwiegend familiengeführten schwäbischen Speditions-Unternehmen sei es schwer, sich in einem Wettbewerb zu behaupten, wenn die Konkurrenz alle Standards ignoriere, kritisiert Stöferle. Abhilfe schaffen könnten da nur verschärfte Kontrollen.

Lücken im Lieferkettengesetz

Verstöße gegen das Lieferkettengesetz können laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) weiter bestehen, da sogenannte Transportbörsen Aufträge zwischen Unternehmen und Speditionen über eine Kombination verschiedener Subunternehmer vermitteln – darunter laut DGB nach wie vor die Mazur-Gruppe, trotz der bekannten Vorfälle. Der DGB fordert deshalb eine gesetzliche Einschränkung dieser Subunternehmerketten – für mehr Transparenz und gegen ausbeuterische Geschäftsmodelle.

Dieser Artikel ist erstmals am 15.04.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert.

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